Entscheidungshilfen aus der Neuroökonomie


Eindrücke vom ICF Chapter-Treffen am 17.9.2013

 Konfrontiere ich meinen Klienten mit seiner Verschiebetaktik oder stärke ich seine eigenen kreativen Lösungsideen? Wen beziehe ich im Gruppencoaching mit ein? Welche Methoden passen für den nächsten Schritt am besten? Diese typischen Coaching-Entscheidungen nannten die Teilnehmer des ICF Chapter-Treffens am 17.9.2013. Natürlich müssen nicht nur Coachs dauernd entscheiden, sondern vor allen Dingen der Klient: „Bleiben oder Gehen in beruflichen Situationen“ ist ein Klassiker, „Probiere ich etwas Neues? “ oder „Wie setze ich mich durch?“ Es erfordert vom Coach viel Fingerspitzengefühl, diese Entscheidungen mit Intuition und Ratio zu begleiten.

 

Der Geschichtenerzähler und der Detektiv

Dabei steht Bauchgefühl nicht gegen Vernunft oder umgekehrt. Es geht um eine konstruktive Zusammenarbeit dieser beiden Entscheidungsinstanzen. Dazu stellten die Referentinnen Annelie Michael und Susanne Langer das Modell von Nobelpreisträger Daniel Kahneman vor: Die Protagonisten sind zwei Systeme, die Kahneman System 1 und System 2 nennt. System 1 basiert auf Intuition und System 2 auf Logik. „In dem unwahrscheinlichen Fall, dass dieses Buch verfilmt würde, wäre System 2 die Nebenfigur, die sich für die Hauptfigur hält“, beschreibt Kahneman. Die Referentinnen veranschaulichten die beiden Charaktere als Comic-Figuren: Ein Geschichtenerzähler auf einem fliegenden Teppich für System 1 und ein kleiner Detektiv mit Lupe für das System 2. Flink, mühelos und automatisch arbeitet der Geschichtenerzähler, langsam, gründlich und energieeffizient arbeitet der Detektiv. Sie spielen sich untereinander die Bälle zu, so dass jeder tut, was er am besten kann. Das ist eine grandiose Arbeitsteilung – bis auf manchmal.

 

Wie wir in unsicheren Situationen Entscheidungen treffen

Der Geschichtenerzähler in uns ist anfällig für kleine Manipulationen der Umwelt: Annelie Michael stellte dazu eine Auswahl von typischen Effekten vor: Es wurde beispielsweise nachgewiesen, dass türkischklingende Wörter, die in Wirklichkeit keine Bedeutung hatten, als positiver bewertet wurden, wenn die Probanden sie nur häufig genug vorher gesehen hatten: Die bloße Darbietung von Informationen erzeugt also Sympathie. Dieses Phänomen bezeichnen Fachleute als Mere Exposure Effekt (Effekt der bloßen Darbietung). Wir kennen ihn aus der Werbung, aber auch von unseren Klienten: Vertraut heißt oft auch gut, egal ob uns das Vertraute davon abhält, zu neuen Ufern aufzubrechen. Priming (Bahnungseffekt) zeigt einen weiteren Automatismus von System 1: Jeder Sinneseindruck assoziiert noch viele weitere Eindrücke in uns, die aber in der gegebenen Situation vielleicht gar keine Rolle spielen. Nachgewiesen in einem Feld-Experiment in der Büroküche von Studenten einer britischen Universität. Wenn neben der „Vertrauenskasse“ ein Poster mit Augen hing, bezahlten die Studenten stets höhere Summen für die verwendete Milch als an Tagen mit Blumenpostern. Offensichtlich fühlten sich die Zahler durch die Augen beobachtet, wohingegen in den Wochen mit Blumenpostern die Beträge stets geringer waren, die in die Kasse gezahlt worden. Weitere Verzerrungen erzeugt der Halo-Effekt, ein „Lückenfüller“-Effekt. Wenn wir nur sehr wenig Informationen zur Verfügung haben, dann ergänzt System 1 die dürftigen Fakten mit weiteren „Daten“, die ihm plausibel erscheinen – ob sie etwas mit der aktuellen Realität zu tun haben oder nicht. Deshalb gibt es keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. „All diese Effekte sind ein Zeichen für das energieeffiziente Zusammenspiel von System 1 und 2“, betont Annelie Michael. „sie sind keine Fehlkonstruktionen, sondern die Antwort der Evolution auf die tägliche Informationsflut. Doch je nach Bedeutung der Entscheidung lohnt es sich, vom Autopilot auf die skeptische Rückfrage umzuschalten:“ Ist das wirklich wahr?“

 

Wie Emotionen und Ratio besser Hand in Hand arbeiten

Abschließend stellte Susanne Langer typische Fehlurteile vor, die sich aus diesen Effekten ableiten: Die Leistungsbewertung von Studenten (oder auch von Mitarbeitern) hing in Versuchen entscheidend von dem ersten Eindruck ab. War ihre erste schriftliche Arbeit zufriedenstellend, dann wurde ihnen später auch Fehler schneller verziehen. Umgekehrt wurden selbst die sehr guten späteren Leistungen weniger honoriert, wenn der erste Eindruck schlecht war. Kahneman erkannte an diesem Ergebnis zwei Konsequenzen für die Entscheidungsfindung. Zuerst stellte er sein Bewertungssystem um, indem er verschieden Leistungsnachweise getrennt ohne Namen beurteilte. Anschließend aber merkte er, dass dieses bessere System ihm am Ende unzufriedener machte, obwohl es offensichtlich zu gerechteren Ergebnissen führte. Er hatte erkannt, dass seine Studenten sich nicht so leicht in gut und schlecht einteilen ließen. „Doch das emotionale Entscheidungssystem mag diese Situationen nicht. System 1 hat gern eine kohärente Geschichte, selbst wenn sie nicht der Realität entspricht“,  fasst Susanne Langer zusammen.

 

Welches System coachen wir nun eigentlich? fragte eine Teilnehmerin. „Als Mensch bilden wir natürlich immer eine Einheit und lassen uns nicht in Systeme zerlegen“, antwortet Annelie Michael. „Im Coaching wollen wir eine neue Zusammenarbeit zwischen beiden Entscheidungssystemen anregen, mit der der Klient seine Ziele besser erreichen kann.“

 

Für alle, die in diese Frage tiefer einsteigen wollen, findet am 9. November ein Workshop statt zum Thema: Herausfordernde Entscheidungen im Coaching in unsicheren Situationen.

 

Weitere Infos unter www.visionarycoaching.de und www.people2move.com oder langer@people2move.com